Zerstörte Illusionen

 Der langsame Zerfall einer Familie 

Hier ein paar kurze Passagen aus dem Buch … 


1949

Meine Eltern stammten aus der Ostzone und lernten sich 1947 in einem Tanzlokal kennen. Mein Vater war siebzehn Jahre alt und kam aus der Gefangenschaft. Meine Mutter, ein Jahr älter, absolvierte ihr hauswirtschaftliches Pflichtjahr, so wie es damals üblich war. Zwei Jahre später, im Juli 1948, heirateten sie.   Beide benötigten die Genehmigung ihrer Eltern, da man damals erst mit einundzwanzig Jahren volljährig war. Sie waren beide jung, verliebt und lebenshungrig und genossen das Leben nach Kriegsende in vollen Zügen. Anfangs wohnten meine Eltern gemeinsam, mit der gerade geschiedenen Mutter meines Vaters, in einer kleinen Wohnung in der sowjetischen Besatzungszone im Bezirk Friedrichshain. Wie man sich vorstellen kann, vertrugen sich Margarete und ihre Schwiegermutter, zwei charakterlich sehr unterschiedliche Frauen, überhaupt nicht. Immer wieder kam es zu Spannungen wegen Kleinigkeiten. Doch ein eigener Wohnraum war nicht so leicht zu bekommen. Ein Jahr nach der Hochzeit meiner Eltern wurde ich im März 1949 im elterlichen Schlafzimmer in der Boxhagener Straße geboren. Damals war es selten, im Krankenhaus zu entbinden, die meisten Geburten fanden zu Hause statt. Meine Oma war auch bei meiner Geburt dabei. Sie erzählte mir Jahre später, dass sie während des Geburtsvorgangs den Eindruck hatte, dass ich nicht auf diese Welt kommen wollte. Heute weiß ich auch, warum. Nach meiner Geburt war den jungen Eltern bewusst, dass sie sich dringend nach eigenem Wohnraum umsehen mussten. Sie fanden ihn schließlich auch ein paar Straßen weiter in der Rigaer Straße. Damals war diese Straße eine ruhige Straße mit vielen kleinen »Tante-Emma-Läden« und einigen gemütlichen Kneipen. Die Wohnung war nicht groß. Sie bestand aus Wohnzimmer und Küche. Die Toilette war eine halbe Treppe tiefer.  Doch sie hatten endlich ihre eigene Welt.  Im selben Jahr wurde übrigens auch auf dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone die Deutsche Demokratische Republik gegründet.

Drei Jahre später, im Oktober 1952, kam mein Bruder Gerhard zur Welt. Er kam einen Monat zu früh und auch er war eine Hausgeburt. Im Gegensatz zu meiner Geburt waren meine Eltern auf die Ankunft ihres zweiten Kindes so gar nicht vorbereitet. Es gab nichts für das Baby.
Die Hebamme wickelte das Neugeborene notdürftig in ein Handtuch und meine Großmutter wurde nun mit der Beschaffung des Nötigsten für das kleine Wesen beauftragt. Wie ich viel später erfahren habe, war mein Bruder kein Wunschkind. Meine Mutter hatte in den ersten Monaten einige abenteuerliche Versuche unternommen, die Schwangerschaft zu unterbrechen. Wir haben nie von ihr erfahren, warum sie dieses Kind nicht wollte. Meine Oma verbreitete allerdings hartnäckig, dass dieses Kind nicht von ihrem Sohn stammen könnte. Woher sie es wusste, oder es nur eine Vermutung war, blieb ihr Geheimnis. Allerdings war der Stachel bei meinem Vater jetzt für immer gesetzt. Es gelang ihm nie, eine normale Vater-Sohn-Beziehung mit dem Jungen aufzubauen. Von Geburt an war der Kleine in seiner Entwicklung zurückgeblieben und blieb ein Sorgenkind.
Die Ehe meiner Eltern verlief bald nicht mehr so harmonisch, obwohl sie sich noch sehr liebten. Mein Vater war Busfahrer, weshalb meine Mutter oft allein unterwegs gewesen ist. Die Wohnung war für vier Personen nicht ausreichend groß. Oft kam es zu heftigen, lauten Streitereien, die mit Handgreiflichkeiten verbunden waren. Nicht nur wir Kinder bekamen alles mit, auch die Nachbarn waren informiert. In solchen besonderen Situationen erhielten wir emotionale Hilfe von einem älteren Ehepaar, das eine Etage höher wohnte. Sie stammten aus Ostpreußen und waren kinderlos.
Mein Bruder und ich nannten sie liebevoll Tante und Opa. Wir empfanden eine aufrichtige Liebe zu den beiden, da sie uns wie eigene Enkelkinder verwöhnten. Durch das Spielen mit uns, das Ausstatten mit Kleidung und gemeinsame Ausflüge schenkten sie uns besondere Aufmerksamkeit. Wir durften sogar bei ihnen übernachten, wenn unsere Eltern feierten oder stritten. In ihrer Gesellschaft fanden wir das Gefühl von Geborgenheit, das uns zu Hause fehlte. An die Großeltern mütterlicherseits kann ich mich nicht erinnern. Der strenge Großvater war bereits vor meiner Geburt verstorben, und die Großmutter verstarb, als ich zwei Jahre alt war. Meine Mutter erzählte mir, dass ich sie sehr geliebt haben soll und sie stets als »Omileinchen« bezeichnete. Leider habe ich keinerlei Erinnerungen an sie, was ich zutiefst bedauere. Zum Großvater väterlicherseits hatte ich nur oberflächlichen oder besser gesagt gar keinen Kontakt. Dies lag vermutlich daran, dass die Großeltern geschieden waren und jeglichen gegenseitigen Kontakt vermieden. An schöne familiäre Momente oder besondere Höhepunkte während meiner frühen Kindheit kann ich mich nicht erinnern. Ich war ein ruhiges und introvertiertes Mädchen. Wo man mich auch hinstellte, spielte ich in meiner eigenen Welt.


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