Und die Zeit heilt doch keine Wunden …
Es ist jetzt über zehn Jahre her, dass ich das letzte Mal etwas von meinem Sohn gehört habe. Ich weiß nicht, wo er lebt, wie es ihm geht oder was er gerade macht. Und das macht etwas mit mir, jeden einzelnen Tag. Niemand fragt mehr nach ihm. Es ist, als wäre er einfach verschwunden – aus der Welt und aus den Gesprächen. Und ich? Ich schweige. Nicht, weil es mir egal ist. Im Gegenteil. Ich habe nur Angst, anderen mit meiner Traurigkeit zur Last zu fallen. Also trage ich sie still in mir.
Manchmal überkommt mich der Schmerz so plötzlich und so heftig, dass ich am liebsten laut schreien würde – einfach, um dem Gefühl Raum zu geben.
Es tut weh, dass jemand, den ich so sehr liebe, in meinem Leben fehlt. Und noch mehr schmerzt der Gedanke, dass es sich manchmal anfühlt, als hätte es ihn nie gegeben. Aber das stimmt nicht. Er war da. Er ist ein Teil von mir. Und das wird sich nie ändern.
Die vergangenen Jahre waren geprägt von Selbstzweifeln, tiefer Sehnsucht, schmerzlichen Erinnerungen und der immerwährenden Hoffnung auf eine Aussprache mit ihm – doch sie blieb aus. Falsche Freunde und der Kontakt mit Drogen veränderten sein Wesen grundlegend. Aus dem sensiblen, liebevollen Menschen wurde jemand, der mir fremd wurde: kühl, distanziert, gefühllos. Unsere einst innige, unerschütterlich geglaubte Beziehung, auf die ich immer so stolz war, erwies sich als trügerisch.
Die bittere Realität ist: Mein Sohn hat sich entschieden, sein Leben ohne mich weiterzuführen. Ich hoffe, er hatte gute Gründe dafür – doch hätte es Größe gezeigt, wenn er mir diese erklärt hätte. Auch wenn ich sein Schweigen nicht verstehe, muss ich seine Entscheidung respektieren.
Ein Kind zu verlieren, ist kaum in Worte zu fassen. Doch es auf diese Weise zu verlieren – still, ohne Erklärung, ohne einen Blick zurück – war besonders schwer. Und trotzdem bleibt in mir ein letzter Wunsch: eine Antwort. Ganz gleich, in welcher Form. Ich wünsche mir nichts sehnlicher als ein wenig Klarheit – um zu verstehen, was war, und um eines Tages innerlich abschließen zu können. Vielleicht schuldet er mir das nicht – aber ich glaube, es wäre nur fair gewesen.
Ich wünsche ihm von Herzen ein Leben in Zufriedenheit, frei von zerstörerischen Wegen, frei von allem, was ihm geschadet hat. Und ich hoffe, dass er mit seiner Entscheidung leben kann – in Frieden mit sich selbst.
Er bleibt immer in meinem Herzen. Nicht als der Mensch, der er heute ist, sondern als der, der er einmal war. Ich liebe und vermisse diesen Teil von ihm – und ich werde es wohl immer tun.
Oder